lunedì 30 aprile 2018

civis romanus sum

Cari amici, 

nach dreieinhalb Jahren wird es wieder Zeit, Euch von meinem Leben in Italien zu berichten. Es hat sich einiges an Material angesammelt, was ziemlich drastische Änderungen nach sich gezogen und meinem Leben eine neue Richtung gegeben hat. Wie der Eine oder Andere schon aus der Überschrift verstanden haben wird, ist ein weiterer Umzug Anlass dieses neuen Blogbriefes. Aber das ist nicht alles. Es gilt, neue Herausforderungen anzugehen und zu meistern und nachdem ich eine lange, dunkle Zeit überwunden habe, die passender Weise in den Winter fiel, bin ich jetzt wieder zuversichtlich.

L'Italia che funziona

Die Stadt der due torri, der zwei Türme, wird mir fehlen

Das Italien, das funktioniert. Das kann man wirklich von Bologna sagen. Ich habe Euch bereits vor dreieinhalb Jahren von Bologna vorgeschwärmt und mir fiel es wahrlich nicht leicht, Bologna den Rücken zu kehren. Ich liebe diese Stadt nach wie vor. Nicht nur, dass dort alles funktioniert, die Stadt bietet auch außerordentlich viel Leben und Abwechslung und ich werde es vermissen, dermaßen zentrumsnah zu wohnen und, je nach Verkehrsmittel, zehn bis zwanzig Minuten zu brauchen, um mich ins Leben zu stürzen. Und nebenbei die wunderschöne Altstadt zu genießen, die nicht so museal wie in den italienischen Touristenhotspots daherkommt, sondern einfach mit echtem Leben erfüllt ist. Hinzu kommt ja auch noch, dass Bologna ein gastronomisches Schwergewicht ist und dem kann man in Bologna nicht entgehen, auch wenn Pizza und Kebab der emilianischen Küche mittlerweile schwere Konkurrenz machen. Emilianische Küche gibt es trotzdem an jeder Ecke. Schwierig wird es allerdings, ein bestimmtes Gericht zu bekommen, dass nur Lokale anbieten, die ausländische Touristen zufriedenstellen wollen: spaghetti alla bolognese haben den Weg nach Bologna bislang nur sporadisch und über Umwege gefunden. In Bologna isst man stattdessen tagliatelle al ragù , also die langen, breiten Eiernudeln. Wer einmal richtig schlemmen will, sollte vorherige Mahlzeiten leicht halten, damit er abends richtig zuschlagen kann. Als Vorspeise halten erst einmal Schinken und Aufschnitte her (die mortadella kommt aus Bologna und hat dort ihr eigenes Fest), dazu die regionalen Käse, der Parmesan beispielsweise ist in Verbindung mit Auberginen (melanzane alla parmigiana) sehr köstlich. In Italien gibt es anschließend zwei Hauptgerichte, ein kohlenhydratelastiges (primo) und ein proteinlastiges (secondo). Ich empfehle gramigna con panna e salsiccia (Pasta mit Sahne und Stücken grober italienischer Bratwurst) und die cotoletta alla bolognese (Kalbsschnitzel bedeckt mit Schinken und Parmesankäse). Zum secondo wird gern noch eine Beilage bestellt, verdure grigliate (gegrilltes Gemüse) gehen immer. Die emilianische Küche ist nicht wirklich mediterran leicht.
Wer etwas weniger Geld ausgeben will, hat eine große Auswahl an Aperitivolokalen, die sind keine bolognesische Besonderheit, sondern in ganz Italien zu finden. Ursprünglich ist der aperitivo ein alkoholisches Getränk, dass die Leute in den entsprechenden Lokalen trinken, wenn sie aus der Arbeit kommen und bevor es nach Hause und später zum Abendessen geht. Dazu wurden immer ein paar Knabbereien wie Chips und Nüsse gereicht. Mittlerweile wurde in vielen Lokalen das Konzept so verfeinert, dass man mit dem Getränk auch den Zugang zu einer Art All-you-can-eat-Buffet erhält, wo man sich mit Häppchen aller Art den Bauch vollschlagen und das Abendessen ersetzen kann. Da Bologna mehr als andere Städte von den vielen Studenten geprägt wird, ist die Aperitivokultur natürlich bei diesen wunderbar angekommen. Für fünf bis zehn Euro einen Drink und pappsatt. Und anschließend geht es weiter auf Kneipentour und auch hier kann man sich teilweise für wirklich wenig Geld betrinken. Das ist allerdings der Stadtverwaltung zunehmend ein Dorn im Auge und stellt für viele Anwohner auch eine Belästigung dar. Allenthalben wird der degrado (Verfall) gewisser Zonen der Innenstadt beklagt. Das hatte ich zwar so nicht wahrgenommen, aber ich habe ja auch nicht in den entsprechenden Straßenzügen gewohnt. 
Eigentlich habe ich den degrado überhaupt nicht als so problematisch empfunden, im Gegenteil. Wie schon gesagt, Bologna habe ich als ein funktionierendes Gemeinwesen wahrgenommen, in dem die Menschen im Allgemeinen sehr freundlich, umgänglich und herzlich sind und indem die Dinge, auf die es ankommt, auch funktionieren. Beispielsweise hatte ich vor Jahren in Genua immer über die Busse gejammert, in Bologna kann ich dem Nahverkehr nur ein Lob aussprechen. Die Busse sind meist pünktlich, einigermaßen in Schuss und bringen einen relativ schnell überall hin. Da ich relativ verkehrsgünstig gewohnt habe, meist, ohne umsteigen zu müssen.

Wer zu mir wollte, musste einfach Richtung Rosa Luxemburg fahren 

Auch andere öffentliche Einrichtungen bestätigen, dass in Bologna die Dinge gut funktionieren. Das Krankenhaus Sant'Orsola beispielsweise wurde vor zwei Jahren als Italiens bestes Krankenhaus ausgezeichnet und bevor ich in die Details gehe, kann ich nur bestätigen, dass ich dort bis zu einem gewissen Punkt gute Erfahrungen gemacht habe. Von weither kommen die Patienten nach Bologna in dieses Krankenhaus, um sich dort behandeln zu lassen. Im Sommer hatte ich Leute in Apulien kennengelernt, die vom Sant'Orsola schwärmen und im Herbst habe ich andere aus den Marken kennengelernt, die auch extra nach Bologna kommen, um sicherzustellen, die beste Behandlung zu bekommen.

Die Stadt gibt sogar Tipps: angesichts einer Hitzewelle sollte man Wasser, Obst und Gemüse zu sich nehmen. 

Eine weitere tolle bolognesische Einrichtung, die ich schätzengelernt habe, ist der unterirdische Bahnhof für die Hochgeschwindigkeitszüge, die ich in den letzten Jahren ausgiebig genutzt habe, um öfter mal in die Hauptstadt zu entschwinden. In zwei Stunden bringen einen die Züge nach Rom und legen dabei fast 400 km zurück. Und da auf Italiens Hochgeschwindigkeitsstrecken ein privates Unternehmen namens italo der staatlichen Trenitalia Konkurrenz macht, kann man, rechtzeitiges Buchen vorausgesetzt, sehr günstig verreisen. Mal mit dem einen, mal mit dem anderen Anbieter. Selbst wenn man spontan verreist und die Normalpreise zahlen muss, kommt man günstiger nach Rom als mit dem eigenen Auto, was natürlich auch daran liegt, dass die Kosten für die Autofahrten durch exorbitante Autobahngebühren und erhöhte staatshaushaltsrettende Kraftstoffsteuern nach oben getrieben werden.

Ein italo im unterirdischen Bahnhof. Durch die Tunnel Richtung Florenz pflügt er mit bis zu 300 Sachen. 

Und noch immer ist nicht Schluss. Noch etwas wird mir in Zukunft fehlen. Mein Fahrrad, das mir in all den Jahren in der Emilia, sowohl in Cento als auch in Bologna, ein treuer Begleiter war. Die Leidenschaft ging so weit, dass ich Autos gewechselt habe, um das Fahrrad bequemer transportieren zu können. Und so konnte ich tolle Radwege in der Emilia, der Lombardei, dem Veneto und der Toskana entdecken. Von Urlauben in anderen Ländern ganz zu schweigen. Facebooknutzer werden sich an meine Urlaubsfotos mit Fahrrad erinnern. Gerade die Emilia und die Poebene haben es mir leicht gemacht, diese Leidenschaft auszuleben, da die Landschaft topfeben ist und ich keine unsymphatischen Anstiege bewältigen musste. Obwohl ich es auch gewagt und geschafft habe, die Berge am südlichen Stadtrand Bolognas zu erklimmen und mit dem Fahrrad zur Wallfahrtskirche San Luca zu fahren. Mit anschließender Schussfahrt zurück Richtung Innenstadt. 
Durch den Umzug hat sich das mit dem Radfahren aber erst einmal erledigt, in meiner neuen Umgebung ist das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel nicht zu gebrauchen und meine neue Wohnung ist nicht groß genug, um den Platz unnötig mit einem Fahrrad zu blockieren. Sollte ich Lust auf Radtouren haben, dann fahre ich einfach irgendwo hin und miete ein Fahrrad, wie ich es im Sommer mit A. in Südtirol gemacht habe, um vom Reschenpass nach Meran zu radeln.
 
                                                                     
Mit dem Fahrrad in der Emilia: an der Wallfahrtskirche San Luca, in Comacchio oder auf der Rennstrecke von Imola

Mein Lebensretter 

A. habe ich vor einigen Jahren kennengelernt und zwischen uns hat sich eine außergewöhnliche Verbindung entwickelt, die dazu geführt hat, dass wir uns gegenseitig als „Familie“ betrachten, obwohl wir nicht im herkömmlichen Sinne zusammen sind. Und obwohl zwischen uns beiden eine große Entfernung lag, er in Rom, ich in Bologna. Dank italo und Trenitalia konnten wir diese Entfernung aber überaus regelmäßig überbrücken und uns gegenseitig besuchen und unsere „Familienbande“ vertiefen. In diesen Jahren haben wir schon viel miteinander erlebt und unternommen, aber wie sehr ich mich auf A. verlassen kann, zeigte sich vor zwei Jahren, als A.'s Liebe gepaart mit Starrsinn und Entschlossenheit mir praktisch das Leben gerettet haben. 
Schon seit einiger Zeit häuften sich einige leichte Anzeichen, dass etwas nicht ganz in Ordnung sein würde und rein theoretisch war mir auch klar, dass man normalerweise auch mal einen Arzt aufsuchen sollte, wenn etwas nicht läuft. Für mich waren Arztbesuche allein aus dem Grund zu vermeiden, weil dann meine Arbeit liegen bleiben würde und ich damit Kollegen und Kunden enttäuschen könnte. Dieses überzogene Pflichtgefühl hatte mir A. schon in der Vergangenheit, wenn ich mal eine leichte Erkältung hatte, vorgeworfen. Die leichten Anzeichen waren auch jetzt nicht so dramatisch, dass ich mir wirklich Sorgen gemacht hätte. Ein paar Wehwehchen ließen sich dann aber nicht mehr vor A. verstecken, als er an einem Wochenende bei mir in Bologna war. Als mir dann zusätzlich auf einmal schlecht war, zerrte er mich zum Bereitschaftsarzt und begann damit, eine lange Reihe von Untersuchungen einzuleiten, an deren Ende endlich eine Diagnose und eine Therapie stand. Die ersten Arztbesuche, zu denen mich A. gezwungen hatte, waren zwar erst einmal verlorene Zeit, weil mein Hausarzt eher im Dunkeln rumstocherte, anstatt auf meine Hinweise einzugehen, aber immerhin war ein Anfang gemacht. Erst auf mein Insistieren bekam ich dann von meinem Hausarzt eine Überweisung für eine Untersuchung, die ich dann irgendwann bei Gelegenheit mal machen lassen wollte. Als A. davon Wind bekam, war kein Halten mehr. Ich war gerade bei ihm in Rom und er setzte sich sofort an Computer und Telefon, um sofort bei einer privaten Klinik diese, von ihm als wichtig betrachtete, Untersuchung machen zu lassen und keine Zeit zu verlieren. Der sonst oftmals so unorganisierte A. zeigte bei dieser und kommenden Gelegenheiten, dass er es drauf hat, wenn es wirklich wichtig ist. 
Der Befund war alarmierend genug, dass der Arzt uns sofort zur Rettungsstelle geschickt hat, um dort weitergehende Untersuchungen zu vereinbaren. Dies taten wir auch, aber nach meiner Rückkehr nach Bologna am nächsten Tag, wurde ich dann am Montag, 2. Mai 2016, im Sant'Orsola vorstellig. Dort verlor man keine Zeit und in meinem Fall zeigte sich das italienische Gesundheitssystem von nun an von seiner allerbesten Seite. Ich wurde für die nächsten beiden Wochen fast jeden Tag zu Untersuchungen ins Krankenhaus beordert und bekam schließlich die Diagnose. Krebs. Wenigstens einer, der behandelbar ist und mit dem die Betroffenen teilweise Jahrzehnte leben können. 
Am 25. Mai 2016 wurde mir der Tumor während einer Operation entfernt und eine Woche später konnte ich schon wieder nach Hause. Während dieser Zeit waren die anderen Familienbande eine unverzichtbare Hilfe. Meine Eltern sind spontan nach Bologna gekommen und haben mich während und nach dem Krankenhausaufenthalt großartig unterstützt. A. hatte mir drei Tage nach der Operation einen Überraschungsbesuch im Krankenhaus abgestattet, musste aber ansonsten in Rom arbeiten.
Relativ schnell erholte ich mich von der Operation und begann schließlich eine neuartige Therapie mit Medikamenten, die erst vier Jahre vorher zugelassen worden sind und den italienischen Staat jeden Monat fast den Gegenwert eines billigen Kleinwagen kosten. Zur Erklärung: in Italien gibt es keine Krankenkassen, sondern man ist über ein staatliches Gesundheitssystem versichert. 
Noch ein paar Wochen später konnte ich auch schon an meinen Arbeitsplatz zurückkehren und noch ein paar Wochen später machten A. und ich dann einen tollen in Urlaub in seiner Heimat Kalabrien. Nachdem ich Anfang 2004 schon mal eine Woche in Neapel verbracht hatte, konnte ich jetzt noch einmal in Italiens Süden abtauchen und dort ein paar schöne Wochen erleben. Und dabei auch eine ganz spezielle Kultur kennenlernen. A. ist nämlich nicht nur Kalabrese, sondern auch Arbëresh. Er gehört einer albanischsprachigen Minderheit an, die sich vor über 500 Jahren in Teilen Süditaliens angesiedelt hatte, um vor der osmanischen Expansion zu flüchten. Und während A. in den langen Jahren, die er in Rom lebt, seinen albanischen Akzent abgelegt hat, hört man in den albanischen Orten Kalabriens deutlich die Sprachfärbung, auch wenn italienisch gesprochen wird. Tatsächlich sprechen die Menschen dort aber immer noch alltäglich ihre antike albanische Sprache, die mit dem heutigen Albanisch, was in Albanien gesprochen wird, nur leidlich kompatibel ist.

Auf und ab 

So verliefen die nächsten Monate erst einmal ganz ruhig. Zwar hatte ich einen Krebs, aber den nahm ich erst einmal nicht sonderlich ernst, sondern vertraute ganz auf die Ärzte und meine allgemein gute Verfassung. Die Probleme, die jetzt auf mich zukamen, waren nicht mehr gesundheitlicher Art. Die Rückkehr an meinen Arbeitsplatz lief leider nicht so ab, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wirklich willkommen war ich anscheinend nicht mehr. Die Diagnose Krebs hatte offenbar mehr Eindruck auf andere Leute gemacht als auf mich selbst. Es geschahen merkwürdige Dinge und nach einigen Monaten war ich gezwungen, das Kapitel K. ad acta zu legen und mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, mich langfristig mal wieder auf die Suche nach einer neuen Perspektive zu machen.

Schön wäre eine solche Perspektive: Arbeiten, arbeiten, arbeiten, ich lausche lieber den Meeresweiten 

Bevor ich mich aber dem widmen konnte, hatte ich erst einmal viel Zeit, mich um mich selbst zu kümmern und die freie Zeit zu nutzen. Die regelmäßigen Untersuchungen im Krankenhaus ließen sich so auch viel besser organisieren und bestätigten den erfolgreichen Verlauf der Therapie. In den Zeiten zwischen den Untersuchungen häuften sich dann natürlich Reisen, häufiger nach Rom aber gelegentlich auch nach Berlin. Außerdem begann ich wieder, nachdem die Ärzte es mir erlaubt hatten, mein geliebtes Fahrrad in Betrieb zu nehmen oder regelmäßiger die Schwimmbäder zu benutzen. So zog sich das Jahr 2017 hin und im Sommer hatte ich gleich mehrere Highlights. Mit A. erkundeten wir einige Ecken Italiens, die wir noch nicht kannten und im August lud ich, zusammen mit meinen Eltern, die ganze Großfamilie zu einer rauschenden Festwoche in die Toskana ein, wo wir meinen 40. Geburtstag gebührend gefeiert haben.
 

Pool, toskanische Grillspezialitäten und eine Geburtstagstorte mit Fiat 500. Eine tolle Woche mit einer tollen Familie. 

Obwohl sich zu dieser Zeit schon bei den letzten Untersuchungen erste leichte Anzeichen einer nachlassenden Wirkung der Therapie gezeigt hatten und ich ab September gelegentliche Schmerzen verspürte, die die Ärzte in Bologna allerdings nicht zuordnen konnten und mit Schmerzmitteln bekämpften, war mein Sommer noch nicht vorbei. Im Oktober machte ich meine lang geplante Rundreise durch Portugal und Spanien, anschließend wollte ich mich dann mal um eine berufliche Perspektive kümmern. Aber eine Woche nach der Rückkehr nach Bologna musste ich diese Pläne erst einmal zurückstellen. Mit heftigen Schmerzen wachte ich mitten in der Nacht auf und glücklicherweise war A. gerade bei mir und brachte mich sofort zur Notaufnahme. Jetzt litt ich an einer Darmkrankheit, die mit dem Krebs nichts zu tun hatte, aber auch nicht gerade auf die leichte Schulter genommen werden durfte. Im Sant'Orsola haben sie mich gleich da behalten und in den nächsten Tagen Therapien angewandt, um eine Operation am Darm zu vermeiden. Nach zehn Tagen wurde ich mit der Hoffnung entlassen, dass das Problem sich bald von allein lösen würde, nachdem die Therapien erfolgreich angewandt wurden. 
Leider machte sich nun ein anderes Problem bemerkbar, das meine Ärzte allerdings nicht wirklich würdigten: ich bekam zunehmend Probleme beim Laufen und Gleichgewichthalten, beim Koordinieren meiner Beine. 
Glücklicherweise hatte meine Onkologin vom Sant'Orsola aber schon länger eine andere Idee: sie wollte die Therapie ändern und mich dazu an einen Spezialisten in einer anderen Stadt verweisen, in meinem Fall war Rom eine passende Alternative. Und gleichzeitig fing A. an, mich unter Druck zu setzen: er könne nicht ständig nach Bologna kommen, sich aber in Rom immer um mich kümmern. Dazu käme die neue Therapie, für die ich eh häufiger nach Rom kommen müsste und da ich meinen Arbeitsplatz verloren hatte, gäbe es keinen Grund mehr, in Bologna zu bleiben. Ich musste mir eingestehen, dass er Recht hatte und das meine so geliebte Unabhängigkeit in Bologna nicht mehr aufrecht zu erhalten sei und kündigte die Wohnung. 
Kurz vor Weihnachten war ich schließlich beim Spezialisten in Rom, der mittlerweile mein alleiniger Ansprechpartner geworden ist und sich engagiert um mich kümmert. Wenn ich Probleme und Fragen habe, antwortet er mir sogar am Wochenende per Telefon und Whatsapp. Dieser Arzt, nennen wir ihn C., wurde auch sofort hellhörig, als ich ihm von meinen Koordinationsschwierigkeiten erzählte. Endlich nahm das jemand ernst. Im Januar wollte er sich dem Problem widmen, vorher wollte ich noch Weihnachten in Berlin verbringen. Dort verschlimmerte sich das Problem noch weiter und es kamen Schmerzen hinzu. Also wieder zur Notaufnahme. Auch in Berlin wurde ich gleich im Krankenhaus behalten, man hatte auch das Problem identifiziert: eine Metastase an der Wirbelsäule wuchs Richtung Rückenmark und war die Wurzel allen Übels. Eine Operation wäre unmöglich meinten die Ärzte, da dann eine dauerhafte Querschnittslähmung garantiert sei. Alternativ wurde beschlossen, eine Strahlentherapie durchzuführen und die Metastase damit zu bekämpfen. Und ich musste wieder eine Woche im Krankenhaus verbringen. Über Silvester.
Nach Ende der Bestrahlungen hatten mir die Ärzte in Berlin schon gesagt, dass sich erst nach ein bis zwei Monaten zeigen würde, ob die Behandlung Erfolg hatte. Und da man spontane Ausfallerscheinungen nicht ausschließen könne, wurde mir auch gleich das Autofahren verboten. Meine Eltern waren dann so nett, mich mit meinem Auto bei Schneetreiben über die Alpen nach Rom zu A. zu bringen, wo ich mich seitdem einquartiert habe.
In Rom verlor auch C. keine Zeit mehr und machte sich an die nächsten Untersuchungen. Bis auf die böse Wirbelsäulenmetastase war der Krebs durchaus unter Kontrolle und man müsse nun abwarten, was die Bestrahlungen erreicht hatten. Aber es gab auch eine schlechte Nachricht, die nebenbei rauskam. Das Darmproblem war längst nicht behoben und musste beseitigt werden, um die Krebstherapie fortsetzen zu können. Also der nächste Krankenhausaufenthalt. Diesmal in Rom.
Vier Wochen lang musste ich nun durchhalten und dabei die Operation am 21. Februar über mich ergehen lassen, die in Bologna noch vermieden wurde. Aber ich hatte Glück im Unglück. Vor der Operation wurde mir gesagt, dass es sich möglicherweise nicht vermeiden ließe, einen künstlichen Darmausgang am Bauch mit Plastebeutelchen zu bekommen. Ihr könnt Euch vorstellen, wie mir da zu Mute war. Die ersten Worte nach dem Erwachen nach der Operation vernahm ich von A.: Du hast keine Beutelchen!
Die Zeit nach der Operation war wirklich hart, aber A. tat alles, um mich aufzubauen. Eine tolle Überraschung war auch ein Spontanbesuch von M. aus Leipzig im Krankenhaus eine Woche nach der Operation.
Zehn Tage nach dieser Operation, Anfang März, konnte ich das Krankenhaus verlassen und mich bei A. erholen und von ihm betreuen lassen. Zum Monatsende war jetzt der Umzug zu meistern und die Wohnung in Bologna zu übergeben. Schon Ende Januar hatten wir eine neue Wohnung für mich in Rom gefunden und nun auch den Mietvertrag unterschrieben.
C. hatte währenddessen neue Untersuchungen an mir vorgenommen und rückte nun mit der nächsten Hiobsbotschaft heraus: die Bestrahlungen haben nicht das gewünschte Ergebnis erzielt, aber man könne die böse Metastase durchaus wegoperieren. Den Umzug ließ er mich noch durchführen, aber dann würde die nächste Operation stattfinden. Diesmal an der Wirbelsäule.
Den Umzug machte ich dann letztendlich unter tatkräftiger Hilfe meiner Eltern und mit großzügiger Unterstützung meines Bruders am 30. März.
Ein paar Tage später ging es wieder ins Krankenhaus und am 11. April durchlief ich die nächste Operation. C. hatte darauf gedrängt, dass mich immer nur die besten Chirurgen in die Hände kriegen und diese Umsicht hatte sich gelohnt. Die Operation ist gut verlaufen und das Problem behoben. Eine Woche später bekam ich ein „Orthesesystem“, eine spezielle Stütze für Hals und Wirbelsäule, die es mir ermöglicht, die Wirbelsäule zu schonen und dennoch aufzustehen und zu laufen. Noch einen Tag später holte mich A. aus dem Krankenhaus wieder zu sich nach Hause und jetzt widme ich mich mit täglichen Spaziergängen, die dramatisch besser verlaufen als vorher, dem Muskelaufbau. Vier Krankenhausaufenthalte und wenig Bewegung in knapp sechs Monaten haben meine Muskulatur dramatisch abbauen lassen. Die Koordinierungsschwierigkeiten sind weg, die allgemeine Schwäche wird nur durch hartnäckiges Training, erst einmal in Form von Spaziergängen beseitigt werden. Während ich vor einer Woche über 500 m froh war, schaffe ich mittlerweile 2000 m und besorge auch schon kleine Erledigungen selbständig.


Besuch von L. und C. aus der Toskana und von A. direkt nach der OP. Mit der Stütze konnte ich nach einer Woche endlich aufstehen. Und noch ein paar Tage später war ich zum ersten Mal in der Saison Eisessen mit A.
 
Finale 

Das letzte halbe Jahr hat mich wirklich mitgenommen und auch jenseits der Operationsnarben Spuren hinterlassen. Die Unbekümmertheit von früher, die ich auch noch das erste Jahr nach der Diagnose an den Tag gelegt habe, ist weg. Aber ich bin optimistisch genug, den Ärzten zu vertrauen, die mir eine hundertprozentige Wiederherstellung meiner Beweglichkeit vorhersagen. Und ich merke ja selbst, wie es tagtäglich besser wird. Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass die Alternative zur Operation ein stetiges Abgleiten in die Querschnittslähmung war und die Chirurgen in Berlin eine Operation in meinem Fall für unmöglich hielten.
Wie geht es weiter? In wenigen Wochen werde ich auch ohne die Hals- und Wirbelsäulenstütze auskommen können und dann noch schnellere Fortschritte machen. Dann werde ich mich auch endlich der Einrichtung meiner neuen Wohnung widmen und mal sehen, ob der Arbeitsmarkt in Rom mich irgendwie gebrauchen kann. Irgendwann werden schließlich auch meine Reserven aufgebraucht sein.
Eins jedenfalls steht fest. So einfach lasse ich mich nicht unterkriegen. Und mit A. und mit C. habe ich zwei Menschen an meiner Seite, die mich dabei voll unterstützen werden. 

Saluti

domenica 23 novembre 2014

finalmente cittadino!

Cari amici,
 
nein, liebe Italienischversteher, ich habe noch immer nicht die italienische Staatsbürgerschaft. Cittadino bedeutet nicht nur „Bürger“, sondern auch „Städter“. Nach jahrelangen Experimenten habe ich nun endlich wieder den Weg zurück in die Großstadt gefunden. Noch dazu wieder eine, die mit B beginnt!

Wie in Berlin, steht auch in Bologna ein Neptunbrunnen vor dem Rathaus
Nach den toskanischen Jahren, hatte ich in Cento endlich die angestrebte wirtschaftliche Stabilität und Prosperität gefunden. Aber nach drei Jahren war das kleine Cento nun wirklich ausgelutscht und es war wieder mal Zeit für einen Tapetenwechsel. Schon seit längerer Zeit spukte der Gedanke in meinem Kopf herum, wieder in eine Großstadt zu ziehen. Und nachdem ich Bologna in immer häufigeren Besuchen nicht nur kennen- sondern auch liebengelernt hatte, war die Entscheidung nur folgerichtig, wieder einmal einen Umzug zu unternehmen. Rein theoretisch gibt es in der Nähe von Cento noch zwei weitere Alternativen, die mich allerdings nicht wirklich in ihren Bann ziehen konnten: Ferrara und Modena.


Dieser brandneue Song der Wiener Band „Wanda“ ist genau im richtigen Moment erschienen, um meinen Umzug nach Bologna zu vertonen. „Bologna, meine Stadt“ drückt ziemlich gut das Hochgefühl aus, dass ich habe, seit ich in dieser tollen Stadt wohne.
Es gab zwei Gründe, die mich für längere Zeit davon abgehalten hatten, die Bologna-Idee auch umzusetzen: die höheren Kosten (die Mieten in Bologna sind etwas höher und die Fahrtkosten machen sich bemerkbar, zumal es in Italien keine Pendlerpauschale gibt) und der längere Arbeitsweg (von meiner Wohnung in Cento brauchte ich zehn Minuten zum Büro, jetzt ist es eine dreiviertel Stunde). Mit den Kosten kann ich mich arrangieren und mit dem Arbeitsweg komme ich auch klar. Die Sehnsucht nach den Möglichkeiten, die eine Großstadt bietet, war letztendlich stärker und hat mich überzeugt, die Nachteile in Kauf zu nehmen.
 
Blick auf Bologna vom Torre Asinelli
Nahezu alle meine Bekannten in Cento zeigten sich hingegen entsetzt, dass jemand den „weiten“ Weg nach Bologna (knapp über 30 km) täglich beschreiten würde. Bis heute sind einige davon überzeugt, dass ich das nicht auf Dauer durchhalten würde und schon bald reumütig zurückkehren würde. Es ist doch erstaunlich, wie unterschiedlich die Maßstäbe sind. Für mich waren die kurzen Wege in Cento in meinem bisherigen Leben eher die Ausnahme, eine angenehme zugegebenermaßen. Aber daher wusste ich, dass die Umstellung auf 45 Minuten Arbeitsweg kein Hindernis sein würde. Für viele Centesen sind solche Arbeitswege offenbar sehr ungewöhnlich. Und für einige ist es dazu noch unvorstellbar, in einer Großstadt, in einem riesigen Moloch sozusagen, zu leben. Ein Bekannter erzählte mir sogar, dass er auch einmal so eine Erfahrung gemacht hatte, aber mit den vielen Menschen hielt er es auf Dauer nicht aus. Auf Nachfrage kam dann raus, dass er noch nichtmal das Großstadtleben meinte, sondern dass er mal in einem Mehrfamilienhaus gelebt hatte.
Das Leben in Cento ist ja auch nicht schlecht, aber ich fand es auf Dauer doch etwas langweilig. Die Menschen sind nett, haben aber leider mitunter nur den Horizont von Kleinstädtern. Hinzu kommt, dass es als Fremder schwierig ist, sich in ein Kleinstadtleben zu integrieren, wo sich alle von kleinauf kennen. Ich könnte mich auch noch über den kulturellen Niedergang nach dem Erdbeben auslassen: das Theater ist geschlossen, der Karneval auf Eis gelegt und manchmal scheint es, dass die lokale Dialektpflege zum kulturellen Höhepunkt avanciert ist. Ok, jetzt wird es etwas ungerecht, die Stadt bemüht sich durchaus, einige Sachen auf die Beine zu stellen. Aber es hilft ja nichts: gegen die Großstadt hat die Kleinstadt für mich immer das Nachsehen. Nach all den Jahres ist das mein persönliches Fazit.
Also Bologna. Mein Wunschziel. Endlich. Bologna hatte mich schon immer fasziniert. Als ich vor fast zwölf Jahren (oh mein Gott!) für mein Erasmusjahr nach Italien wollte, war Bologna meine erste Wahl. Voller Geschichte, aber dennoch jung, lebendig, offen. So stellte ich mir Bologna vor, ohne jemals dagewesen zu sein. Aufgrund verschiedener Umstände klappte es damals nicht mit Bologna und als Alternative fand ich dann den Weg nach Genua, was ja auch sehr schön war.
Als ich dann im Sommer 2010 bei einer bayerischen Firma zum Vorstellungsgespräch zu Gast war und vom neuen Büro in Cento hörte, fand ich vor allem die Nähe zu Bologna verlockend. So verlockend, dass ich dann doch in Italien weitermachen wollte, denn eigentlich stand damals schon die Rückkehr nach Berlin auf dem Programm. Einige Wochen später war ich dann endlich zum ersten Mal in Bologna. Mit meinen zukünftigen Chefs saß ich in einem teuren Restaurant, wo Herr K., mein neuer Arbeitgeber, das Glas erhob und mich in der Firma willkommen hieß. Herr K. übrigens weilte bei diesem wie bei allen anderen Besuchen in einem Hotel in Bologna, nicht etwa in Cento.
Vorher kannte ich Bologna eher aus Geschichtsbüchern: Heimat der ersten Universität Europas (gegründet 1088), die erste Gemeinde, die 1256 die Leibeigenschaft aufgehoben hatte, Schauplatz von Italiens schwerstem Terroranschlag (1980). Ich weiß nicht, wie ich zu meiner Vorstellung kam, dass Bologna eine lebendige und offene Stadt sei, aber ausgedacht hatte ich mir das sicher nicht. Vielleicht hatte ich das in irgendwelchen Reportagen oder Erzählungen aufgeschnappt, aber irgendwie hatte ich zu Bologna immer positive Assoziationen. Und ich bin ja nicht der einzige. Italienweit hat Bologna den Ruf, eine liberale, reiche, bürgernahe, linke, lebendige und lebenswerte Stadt zu sein. Ein Beispiel: obwohl deutlich kleiner als Mailand und Rom, ist Bologna die erste italienische Stadt, in der sich ein schwullesbisches Leben entfalten konnte. Nach wie vor ist Bologna in dieser Hinsicht bedeutend. Vor einigen Wochen beispielsweise fand das Filmfestival GenderBender statt. Einige Filmvorführungen habe ich auch besucht und falls Ihr mal Lust auf Kino habt, kann ich Euch beispielsweise den schweizerischen Beitrag „Der Kreis“ oder „Pride“ aus England empfehlen.

Anfang Oktober auf einer Demo gegen Homophobie
Und wo wir bei bewegten Bilder sind, kommt mir gleich noch eine andere Erinnerung in den Sinn. Bologna war für mich auch immer die Stadt des ispettore Coliandro, dem Held einer erfrischend anderen Fernsehserie, die von 2004 bis 2010 produziert wurde und in Bologna spielte. Coliandro löst seine Fälle immer mit viel Glück und trotz seines Unvermögens. Und obwohl er niemals eine bella figura macht, ist er trotzdem und mit all seinen Schwächen ziemlich figo, was man am ehesten mit cool übersetzen könnte. Da es Coliandro niemals ins deutsche Fernsehen geschafft hat, werdet Ihr leider nicht die Gelegenheit haben, meine Begeisterung für ihn zu verstehen. Auf der anderen Seite werden hier stattdessen deutsche Perlen wie „Sturm der Liebe“ oder „Alarm für Cobra 11“ zur Prime-Time gezeigt.
Was soll ich sonst noch zu Bologna sagen? Erstaunlicherweise gehen die Touristenströme an Bologna fast komplett vorbei. Dabei hat Bologna alles, was ein Tourist suchen würde: eine wunderschöne Altstadt, die auch noch zum großen Teil verkehrsberuhigt ist, eine herausragende Küche, Nachtleben, Museen und schließlich die allgegenwärtigen Arkaden, unter denen man auch bei Dauerregen oder knallender Sonne entspannt shoppen kann. Aber mir soll's nur recht sein. Sollen die Touristen nur alle Venedig und Florenz verstopfen, umso entspannter lebt es sich in Bologna: letztes Jahr war Bologna auf Platz drei im italienischen Lebensqualitätsvergleich, in einigen Wochen müsste die neue Statistik herauskommen. Wir werden sehen, ob sich meine Ankunft positiv oder negativ niederschlägt.

Piazza Santo Stefano – hier verirren sich dann doch mal einige Touristen her
Bologna zieht statt der Touristen eher junge Leute aus ganz Italien an, die zum Studium hierher kommen. Und dieser ständige Zufluss und Austauch bereichert die Stadt nachhaltig und trägt dazu bei, dass in der Stadt diese offene Atmosphäre herrscht. Ähnlich wie Berlin würde ich sagen. Beide Städte profitieren sehr stark von den Zugezogenen. In Bologna habe ich das Gefühl, ich würde sagen, zum ersten Mal seit ich in Italien bin, nicht in erster Linie ein Ausländer zu sein. Und vielleicht werde ich ja mit dieser neuen Erfahrung doch noch darüber nachdenken, die Anträge einzureichen, um ein richtiger cittadino italiano zu werden.

Saluti
Daniele